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Tragkraft Flachdach Solaranlage

Solaranlagen auf einem Flachdach mit unbekannter Tragkraft und Windlast. Keine Seltenheit, sondern ein großflächiges Problem, für das in den kommenden Jahren pragmatische Lösungen gefunden werden müssen. Im Folgenden meine Antwort an S., der mich aus Verkaufsgründen um eine statische Vorabkalkulation für ein Flachdach eines Großgebäudes bat. Welches…

 


 

Moin S.!

Vielen Dank für dieses interessante (Wochenend-)Projekt.

Also gut, die statische Berechnung von Fachwerkträgern ist natürlich eine komplexe Angelegenheit, die sich nicht so leicht auf einer Serviette eruieren lässt. Darum kann ich hier nur mit Richtwerten dienen. Selbstverständlich nur als Orientierung und unter Ausschluss jeglicher Gewähr.

Hier die Schnittzeichnung vom Dachaufbau. Die Diagonalen sind typisch für einen Fachwerkträger. Die Berechnung der Tragkraft anhand der einzelnen Bestandteile ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Zumal in der Statik in idealisierte und wirkliche Fachwerke unterschieden wird. Ersteres vereinfacht die Berechnung, umfasst aber nicht die realen Schubkräfte; es muss ein Sicherheitsfaktor eingerechnet werden. Prinzipiendenken machte eine aufwendige Kalkulation für eine erste Einschätzung obsolet.

 

Tragkraft vom Flachdach ermitteln – per Ausschlussverfahren:

 

Heutzutage muss ein gewöhnliches Flachdach ohne Beschwerung (wie Kies, Gründach oder PV) mindestens 1,5kN/qm oder 152,9kg/qm tragen können (Eigenlast + Schneelast + Windlast).

Fachwerkträger wie hier sind dagegen auf große Spannweiten bzw. höhere Lasten ausgelegt. Die maximale Spannweite liegt bei diesem Objekt bei 4m. Wodurch anzunehmen ist, dass das Dach auf mittlere Lasten ausgelegt ist. Z.B. für ein Kiesdach. Heute muss ein solches Dach als Neubau mindestens 2,5kN/qm oder 254,93kg/qm tragen können.

Unter Berücksichtigung von Alter und Aufbau würde ich dem Dach eine Tragkraft von 2kN/qm unterstellen, d.h. 203,94kg/qm. Das jedoch nur als Schätzung angesichts der ermittelten Eigenlast (siehe unten).

Ggf. gibt es alte Bilder vom Dach, die eine Kiesschicht vor der Zeit der PV-Anlage offenbaren. Das würde die Annahme von mindestens 2kN/qm stützen.

 

Das hiesige Gebäude, auf dessen Flachdach 162 Solarpanels montiert wurden. Brauchbare Unterlagen: nicht vorhanden. Die Firma, die die Solaranlage damals montierte: nicht mehr existent.

 

Eigenlast Dach und Schneelast:

 

Wenn ich die Massen der Dachkonstruktion addiere, einen Sparrenabstand von 1m ansetze und davon ausgehe, dass seit den 1970ern noch mindestens eine weitere Lage Schweißbahn aufgeschweißt wurde (Drei Lagen für die erste Dachhaut + Sanierungsbahn = 0,1kN/qm), dann komme ich auf ca. 0,87kN/qm für die Eigenlast des Daches (inkl. Befestigungsmaterial, ohne Dämmung und Innenverkleidung).

In NRW ist eine Schneelast von 0,65kN/qm anzusetzen, also 66,18kg/qm.

Bei maximaler Schneelast wäre das Dach bereits ohne PV-Panels mit 1,52kN/qm belastet.

PV-Panels wiegen ca. 22,5kg, hinzu kommt Beschwerung und Gestell. Vermutlich wurden die Panels zusätzlich mit dem Dach verschraubt (oder?).

Ohne das genaue Gewicht der Beschwerung zu kennen, setze ich anhand der Bilder 100kg an Last pro Panel an.

Multipliziert mit 162 Panels ergibt das 16,2 t.

Dividiert durch die Dachfläche von ca. 600qm ergibt das 27kg/qm oder 0,26kN/qm an Zusatzlast durch die PV-Anlage.

Bei maximaler Schneelast mitsamt PV-Anlage wirken somit 1,79kN/qm auf das Dach ein. Heißt: Sofern die Konstruktion wahrhaftig auf 2kN/qm ausgelegt ist, bringt die PV-Anlage das Dach nicht in Gefahr. Zumal zu beiden Seiten der Sparren nur je 4m freitragend sind. Durch das Gefälle bündeln sich die Wasser- und Schneelasten des Daches in der Mitte des Gebäudes. Da die Kräfte dort bis ins Fundament abgetragen werden, wirkt sich das positiv auf die Tragkraft der gesamten Konstruktion aus.

 

Tragkraft eines Daches ermitteln – ohne Statiker

 

Die nächsten Schritte (ohne Statiker) könnten sein, zu prüfen…

1) ob das Dach einmal Kies getragen hat (alte Fotos).

2) welche Lastannahme für normale Flachdächer und Kiesdächer in 1972 Landesbaurechtlich in der Stadt X vorgegeben war. Diese historische Angabe sollte das Bauamt erteilen können.

Für präzisere (d.h. belastbare) Angaben müsste die Konstruktion mithilfe einer (teuren) Software für statische Berechnungen simuliert werden. Das macht dann der Statiker.

 

Windlast PV-Anlage:

 

Sollten die Panels auf dem Flachdach nicht zusätzlich verschraubt sein, ist die Windlastwiderstand der PV-Anlage zweifelhaft. Bei einer Aufständerung von 45° in einer Höhe von ca. 13 Metern wäre eine Beschwerung von <100kg bei ungünstiger Windrichtung mit 80km/h theoretisch unzureichend.

 

Bestes,

 

Manuel

 


 

Resümee meiner Vorabkalkulation zur Tragkraft

 

Knapp zwei Wochen später teilte mir S. mit, dass die Unterlagen aus dem Bauaktenarchiv meine Annahmen bestätigten. Das Dach kann die PV-Anlage problemlos tragen. Um für den Kaufinteressenten der Immobilie eine belastbare Aussage zur Tragkraft zu erhalten, wandte er sich anschließend an ein Statikbüro. Nun jedoch mit dem Wissen, dass die Investition in das statische Gutachten kein Eigentor sein würde, sondern ein zusätzliches Argument, das eine bessere Verhandlungsposition mit sich bringt.

 

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